Von Japan nach Großbritannien
Die Reise des Urahnen von Phoenix Wright, welcher auf den Namen Ryunosuke Naruhodo hört, beginnt an einer Universität in Japan. Dort dauert es nicht lange, bis sich der junge Student inmitten eines Mordfalls befindet, für den er zu allem Übel selbst als Täter angeklagt wird. An Seiten seines besten Freundes und Jurastudenten Kazuma Asogi versucht er sich selbst vor Gericht zu verteidigen. Die Staatsanwaltschaft wird dabei natürlich wie üblich durch niemand anderen als den Vorfahren von Winston Payne vertreten. Taketsuchi Auchi heißt der gute Mann in diesem Spiel.
Nachdem Naruhodos Unschuld bewiesen ist, beschließt er, zusammen mit seinem Freund nach Großbritannien aufzubrechen und sich dort rechtlich weiterzubilden. Jedoch kommt es bereits auf der Fähre nach London erneut zu Turbulenzen und Naruhodo steht erneut im Verdacht, einen Mord begangen zu haben. Angeklagt und festgenommen wird er dieses Mal von niemand geringerem als Herlock Sholmes. (Ja, dieses Wortspiel haben die Entwickler tatsächlich verwendet). Während der Seereise gibt es natürlich keine Gerichtsverhandlung. Viel mehr mutet es an wie in „Ace Attorney Investigations: Miles Edgeworth“, wo allein durch das Ermitteln und Untersuchen die Unschuld bewiesen und der wahre Täter gefunden werden muss.
Ist die rettende Küste Englands dann schließlich erreicht, beginnt das Abenteuer erst richtig, denn alles, was bis dato geschehen ist, könnte als Tutorial betrachtet werden. Ab dort mischen sich die Ermittlungen wieder mit den Gerichtsverhandlungen und wir sind im typischen Ace Attorney-Gameplay angekommen.
Das englische Rechtssystem
Gesteuert wird auch hier wieder über den Touchscreen oder wahlweise die Pfeiltasten und Knöpfe. In jeder Szene hat man die Möglichkeit, sich umzuschauen und interessante Bereiche anzutippen, um etwas über sie zu erfahren. Falls ein Charakter anwesend ist, kann man über die Schaltfläche „Conversation“ mit diesem reden. Über die Schaltfläche „Map“ wechselt man den Bereich und über „Court Record“ erhält man Einsicht auf seine Beweise und die bereits getroffenen Personen. Beweisstücke können außerdem in 360-Grad genauer betrachtet und dadurch auf weitere explizite Hinweise untersucht werden.
Neben den altbekannten Mechaniken bietet „The Great Ace Attorney“ auch eine Reihe an Abwechslungen zur Erschließung und dem Vorantreiben der Ermittlungen. Dank des tatkräftigen Einsatzes von Herlock Sholmes wird man von Zeit zu Zeit seinen berüchtigten „Schlussfolgerungen“ zuteil. Anders als bei Arthur Conan Doyle scheint sich unser Sholmes hier allerdings sehr schnell auf die falsche Fährte bringen zu lassen, sodass Ryunosuke stets eingreifen muss, um ihn zu korrigieren. In dieser „Kursberichtigung“, wie sie genannt wird, hat man an verschiedenen Stellen die Möglichkeit, Sholmes zu unterbrechen und seine Thesen mit einschlägigen Beweisen zu berichtigen. Um diese Beweise zu finden, muss man sich Personen und Szenerien aus 360-Grad-Winkeln anschauen und auf entsprechende Stelle deuten, die den Fehler des Meisterdetektivs aufzeigt und berichtigt. Unterläuft einem dabei ein Fehler, verliert man wie vor Gericht Glaubwürdigkeitspunkte. Sind alle verloren, ist das Spiel vorbei.
Die zweite große Neuerung sind die Geschworenen im Gerichtssaal. Diese sitzen vor dem Richterpult und haben entscheidenden Einfluss auf das Urteil. Jedes Mal, wenn sie sich sicher sind, dass jemand schuldig oder unschuldig ist, werfen sie eine Flamme auf eine der Waagschalen über dem Podium des Richters. Je nachdem, welche Schale schlussendlich Überhand hat, wird der Richter sein Urteil bestimmen. Allerdings entscheiden sich die Geschworenen verdammt häufig um im Laufe der Verhandlungen, sodass man an deren Glaubwürdigkeit auch leicht zweifeln könnte. Zudem lassen sich die einzelnen Personen auch umstimmen, wenn sie sich für die Schuld eines Mandanten entschieden haben. Und zwar mit der so genannten „Summenprüfung“.
Diese läuft prinzipiell ab, wie das Kreuzverhör, nur dass man hier sechs Leute vor sich sitzen hat und ihre Aussagen bei Widersprüchlichkeiten gegeneinander ausspielen kann. Empfindet man also zwei Aussagen der Geschworenen als unsinnig und spielt sie gegeneinander aus, werden sie in den meisten Fällen sofort ihre Meinung ändern und das Verfahren geht weiter. Dieses Ausspielen funktioniert im Übrigen auch beim Kreuzverhör, sobald mehr als zwei im Zeugenstand stehen. Hierbei werden die Betroffenen allerdings einen erschrockenen Laut von sich geben und nervös herumzappeln, wenn ihnen zu den Aussagen anderer etwas einfällt. Daher stellt es dort weniger eine Schwierigkeit dar, als bei den Geschworenen, die keine Miene verziehen.
Grafik und Musik
Dazu kann ich nur sagen, dass ich sehr positiv überrascht bin. Die Grafik ist hervorragend, die Animationen flüssig und sehr stimmig dargestellt. Die Charaktere wirken lebendig und keineswegs steif und künstlich und durch die Vielfalt der Zwischenrufe vor Gericht macht es immer wieder Spaß, die Verhandlungen zu verfolgen. Ein mega cooles Gimmick fand ich, dass der Richter endlich mal wie ein Mensch dargestellt wird, der nicht nur im Richterstuhl sitzt und sein Hämmerchen schwingt. Man sieht ihn in diesen Teilen auch außerhalb des Gerichtssaals. Das fand ich super!
Ryunosuke ist ein bisschen zaghaft bei seinem „Objection!“, das konnte sein Nachfahre Phoenix Wright in den ersten Teilen besser, jedoch sind alle anderen Ausrufe dafür umso gelungener. Irritiert hat es mich, dass Ryunosuke die meiste Zeit in der ersten Verhandlung (Und die war schon echt verdammt lang) nur stumpf „Yes!“ gerufen hat. Egal, ob es eigentlich ein „Hold it!“, „Objection!“ oder „Take that!“ war. Zum Glück legte sich das aber zum Ende hin und in den darauffolgenden Fällen wechselte er dann zu den bekannten und beliebten Ausrufen.
Die Musik ist ebenso großartig gelungen, wie die Grafik. Ich habe mich in jeder Szene musikalisch sehr eingebunden und mitgerissen gefühlt. Atmosphärisch ist dem rein gar nichts mehr hinzuzufügen, das ist wirklich ganz große Klasse! Auch die Zwischensequenzen im typischen Anime-Style können sich sehen lassen.
Moment mal!
Nach all diesen Lobpreisungen gibt es doch sicher auch etwas, das nicht so gut war, oder? Ja, das gibt es in der Tat. Die einzelnen Episoden sind hier diesmal nicht wie die sonstigen Ace Attorney-Teile in drei Tage unterteilt, die sich zwischen Ermittlung und Verhandlung abwechseln, sondern lediglich in einen Tag Ermittlung (ca. 1-2 Stunden) und einen Tag Verhandlung (ca. 2-3 Stunden). Das macht das Ganze meiner Meinung nach etwas langatmig und endlos wirkend. Somit verlieren die „To Be Continued“-Einblendungen auch völlig ihren Sinn, da es ja danach direkt am selben Punkt weitergeht, wo es aufgehört hat. Auch zum Speichern sind sie nicht gerechtfertigt, da man in diesen zwei Teilen zu jeder Zeit zwischenspeichern kann. Das verringert den Frust vor Gericht und erleichtert das Rumprobieren einzelner Optionen ohne den Verlust von Glaubwürdigkeitspunkten.
Ein weiterer Punkt, der sich wie ein roter Faden durch die gesamte Saga zieht, ist die teilweise sehr an den Haaren herbeigezogene Fallstruktur. Auf manche Dinge kommt man meiner Ansicht nach einfach nicht und löst man nur durch reines Herumprobieren. Ab und an fiel es mir wie Schuppen aus den Augen, als nach der gefundenen Lösung die Erklärung kam, was dies nun für den Fall bedeutet. Natürlich ist Ace Attorney nicht für seine Realitätsnähe und Exaktheit bekannt, aber dennoch finde ich, dass sich manche Tathergänge und Beweisfindungen so fernab aller Logik bewegen, dass es nahezu unmöglich ist, darauf zu kommen. Und spätestens, wenn es an einer Stelle bloß noch auf Zufälligkeit ankommt, verliert es sehr an Spielspaß.
Julian meint:
Durch interessante neue Mechaniken, abwechslungsreiche Fälle, lebendige Charaktere und eine wunderschöne Atmosphäre überzeugt „The Great Ace Attorney Chronicles“ voll und ganz! Langzeitspielspaß ist durch die Zusammenkunft beider Teile, inklusive jeder Menge Bonus-Content, vorausgesetzt. Die Gestaltung der einzelnen Fälle ist teilweise etwas langatmig und es fehlt an der Mischung aus Ermittlung und Verhandlung. Ebenso sind einige Herleitungen einfach unglaublich komplex und fragwürdig. Dennoch kann ich „The Great Ace Attorney Chronicles“ allen Fans der Reihe und allen, die es noch werden wollen, bedingungslos empfehlen. Und vielleicht bietet es ja auch den Anlass, in Maurice LeBlancs Romane von Arsène Lupin zu schauen.
Grafik
Sound
Steuerung
Spielspaß
Release
Developer
Publisher
USK
27.07.2021
Capcom
Capcom
6
Singleplayer
Multiplayer
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