Selbst zwei Jahre in ihrem Lebenszyklus nimmt die Switch noch immer dankbar ältere Titel auf, die auf der Wii U nicht strahlen konnten. Mit Tokyo Mirage Sessions #FE Encore stellt sich ein japanisches Rollenspiel ins Rampenlicht, von dem so niemand richtig wusste, was es eigentlich sein wollte und das mit seiner sterbenden Konsole unterging. Was haben wir damals verpasst?
Ihr werdet Idols!
Wenn Anime ein Adjektiv wäre, könnte man TMS mit ihm wohl am besten beschreiben. Die Geschichte führt den Spieler in die bunte Welt der japanischen Popsternchen, die Metropole von Tokyo und eine finstre Parallelwelt, in der es Teenager mit magischen Kräften mit üblen Dämonen aufnehmen müssen.
Die Geschichte erinnert an das Magical Girl Genre, oder Serien wie Digimon, mit High School Schülern, die auserwählt wurden, ein Doppelleben zu führen um das Böse zu bekämpfen. Allerdings mit einem modernen Twist: Mussten sich Davis, TK, Kari und Co. noch regelmäßig mit fadenscheinigen Ausreden von ihren Eltern entschuldigen, oder ihren Lehrern die merkwürdigen Vorkommnisse im EDV Raum erklären, sind Itsuki, Tsubasa und ihre Freunde Teil einer Staragentur, werden zu Musikstars, Models und Schauspielern, um dann mit der Kunst ihrer Performance die Welt zu retten.
In der Haupthandlung geht es also um mystische Wesen aus einer anderen Welt, die in unsere eindringen, Menschen entführen und allerhand Chaos anrichten, und eine Gruppe von gerade noch so Minderjährigen, die sich mit ähnlichen Wesen verbünden, um sie zu bekämpfen. Begriffe wie Mirage, Radiant Unity, Idolasphere oder Performa fallen dabei so regelmäßig, dass man schnell begreift was sie bedeuten, selbst wenn man zu Beginn bei all der Erklärerei nicht mitkommt.
Gräbt man allerdings etwas tiefer stößt man sehr bald auf Granit: Die Figuren und ihre Herausforderungen im Star Alltag stehen hier im Mittelpunkt, allerdings in einer sehr romantisierten Fassung. Das Training ist hart, aber zu schaffen und ist eine Performance noch nicht ganz richtig, fehlt einfach nur die richtige Inspiration und schon legt unser unschuldiges Mädchen von nebenan einen Hit nach dem anderen hin.
Im besten Falle könnte man dem Spiel also vorwerfen, dass es über den Stress, die Verzweiflung und den menschlichen Missbrauch, der in so einer Industrie in der echten Welt durchaus üblich ist, wohlwollend hinweg sieht. Eine schlimmere Interpretation wäre es, wenn man die Dämonen, die über Tokyo herfallen, als Repräsentanten dieser Dinge sieht, und so die Leiter der Branche unter der Hand aus der Verantwortung zieht.
Nicht, dass dadurch die Story direkt schlecht würde, nur bekommt sie einen leicht faden Beigeschmack, so als würde man hier Propaganda der Unterhaltungsindustrie spielen. Dass so eine dicke Lage “Glaub an dich selbst und alles wird gut”-Zuckerguss für dieses Genre an Geschichten durchaus üblich ist, sehe ich hier durchaus ein, und immerhin weiß der interessante, vielseitige und Charmante Cast der Hauptfiguren zu begeistern. Zieht die Handlung erst einmal an, ist man trotz der oberflächlichen Thematik immer gespannt was als nächstes passiert, und die Charaktere lassen in keiner noch so belanglosen Szene Langeweile aufkommen.
Nach der dritten Folge wird es gut!
Diesen Satz hört man oft, wenn man sich endlich mal die groß gehypte Anime Serie des Jahres gibt, und für Tokyo Mirage Sessions #FE Encore gilt leider dasselbe.
Der Spieler steuert Protagonisten Itsuki Aoi durch eine in verschiedene Gebiete aufgeteilte Spielwelt. Hier beginnen Quests, stehen Geschäfte und wird die Party organisiert. Das eigentliche Gameplay spielt sich aber in den Idolasphären statt: Labyrinthartige Welten, in denen angriffslustige Monster lauern. So eine Idolasphäre ist tückisch zu navigieren und weißt immer mit einer zentralen Mechanik auf, die es zu meistern gilt. Allerdings wird es durchaus auch vom Spieler erwartet, dass er sie zwischenzeitlich verlässt, um neue Fähigkeiten zu lernen und sogar Side Quests zu erledigen. Und viele Side Quests führen den Spieler auch wieder in eine zuvor besuchte Sphäre zurück. Die allgemeine Geschwindigkeit lässt sich als gemütlich oder meandernd beschreiben, was keinesfalls schlecht ist, denn eigentlich gibt es immer etwas Spannendes zutun. Nur durch die ersten Episoden muss man sich durchbeißen. Auch hier wurde nämlich, wie in einem Anime, der Großteil der Exposition in den Anfang geladen, und so ist der Einstieg zu lang und zu uninteressant. Die meisten Leute werden wohl schon direkt hier aufgeben, was schade ist.
Im Gegensatz dazu steht das flotte Kampfsystem: Wirkt es anfangs wie ein normales, rundenbasierendes Kampfsystem von der JRPG Stange, entfaltet es bald sein volles Potenzial. Das Kernelement ist dabei so simpel wie genial: Setzt ein Charakter eine Attacke ein, die sehr effektiv gegen den Gegner ist, so hängen sich seine Freunde gleich dran und hauen diesem Gegner selbst auch noch eins auf den Deckel. Diese Ketten heißen Sessions und werden sehr schnell zum Lebensretter nicht nur im direkten Kampf, sondern auch auf weite Sicht, da man so allgemein weniger seiner Ressourcen im Dungeon verbraucht. Selbst wenn man langsam etwas überlevelt ist, sorgt der rein visuelle Flair der Sessions immer für Spannung.
Da dieselben Regeln allerdings auch für die Gegner gelten, bietet TMS selbst auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad, ja, selbst auf dem, den man dadurch freischaltet, dass man zu oft auf die Bretter geht, trotzdem eine Herausforderung.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass das #FE für Fire Emblem steht. Warum ich das bisher nicht erwähnt habe? Weil, was auch immer im Entwicklungsprozess passiert ist, Fire Emblem aus der ursprünglichen Crossover Idee fast komplett herausgestrichen wurde. Die Mirages, die mit unseren Helden verschmelzen, sind Figuren aus dem Fire Emblem Universum, allerdings können sie sich an nichts erinnern. Ansonsten leisten Musikstücke, Gegnerklassen und das Waffendreieck im Kampfsystem Lippenbekenntnisse, und das wars. Man könnte Fire Emblem komplett aus diesem Spiel herausnehmen, ohne etwas zu ändern. Das macht das Spiel nicht schlechter, nur Fire Emblem Fans sollten echt nicht zu viel erwarten.
Encore
Von einem Re-Release erwartet man durchaus etwas mehr, als noch vom ursprünglichen Titel. Bei TMS fällt die Ausbeute da allerdings etwas mager, wenn auch bedeutend aus.
Zum einen wurden dem Spiel einige kleine Nebenstories beigefügt, die sich in neuen Dungeons abspielen. Diese sind zum größten Teil dazu da, um die DLC Kostüme zu verteilen. Auf mehr Inhalt verzichtet man nicht wirklich, sollte man sich nicht zum erneuten Kauf entscheiden.
Was allerdings einen Ausschlag gibt, sind die deutlich verkürzten Ladezeiten. So wie das Spiel aufgebaut ist, findet man sich ständig in einem Ladebildschirm wieder. Auf der Wii U konnten diese bis zu acht Sekunden lang sein, was erstmal nicht nach viel klingt, bis man erfährt, dass diese acht Sekunden vor jedem Kampf verstreichen könnten. Auf der Switch wurden diese Ladezeiten auf etwas über eine Sekunde reduziert und im Falle der Kämpfe praktisch eliminiert. Wer sich auf der Wii U also durch die lahmen ersten Episoden des Spiels gekämpft hat, wird später vielleicht frustriert über die langen schwarzen Bildschirme den Controller für immer weglegen. Auf der Switch steht dem Spielfluss aber nichts im Weg.
Performance und Style
Technisch ist TMS alles andere als beeindruckend. Man sieht, dass Atlus hauptsächlich für Handhelds entwickelt. Leicht eckige Charaktermodelle, steife Animationen und eine durchweg neutrale Beleuchtung zeigen auf seltsame Weise, dass die neuen Pokémon Teile tatsächlich richtige HD Spiele sind.
Das ist aber gar nicht so wild, denn das Design der Welt, der Charaktere und ihrer Performances ist dafür um so stärker. Selbst das Icon im Switch Menü ist wunderschön anzusehen, mit seiner angenehmen aber dennoch lebhaften Farbpalette. Wenn man mit einer Engine arbeitet, die nicht annähernd die Hardware ausreizt, kann man diese eben ausreizen wie man will, und das zeigt sich.
Die Musik wirkt ähnlich frisch, jugendlich und unverbraucht, im schlimmsten Fall ist sie etwas uneingänglich.
Wo ich allerdings klare Kritik äußern muss ist die Lokalisierung: Es mag ja sein, dass eine japanische Sprachausgabe mit englischem Text für einen Nischentitel gang und gebe ist, aber dies ist ein Re-Release, der von Nintendo auch noch relativ gut vermarktet wird. Vor allem, da sich die Handlung an Teenager richtet, sie von diesem Spiel vielleicht über die den deutschen Text auf der deutschen Nintendo Seite erfahren, werden diese wohl kaum bei den Details nachschlagen, ob das Spiel tatsächlich auch in dieser Sprache angeboten wird. Was hier schief gelaufen ist, würde ich mal gerne wissen.
Lukas meint:
Tokyo Mirage Sessions #FE Encore ist ein JRPG mit einer seichten Handlung, die sich an Teenager richtet, einem langsamen Grundtempo aber flotten Kampfsystem und nur oberflächlichen Verbindungen zur Fire Emblem Reihe.
All diese Aspekte setzt es allerdings grandios um und hält den Spieler damit für viele Stunden bei der Stange. Es mag sich zu Beginn ein wenig ziehen, aber dann liefert es genau das, was es verspricht.
Grafik
Sound
Steuerung
Spielspaß
Release
Developer
Publisher
USK
17.01.2020
Atlus Games
Nintendo
12
Singleplayer
Multiplayer
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