Ion Fury, das ursprünglich Ion Maiden heißen sollte, was allerdings einer nicht ganz unbekannten Heavy Metal Band weniger gefiel, ist eine Hommage an die Egoshooter der frühen 90er Jahren. Als die Protagonisten noch politisch unkorrekte Sprüche klopfende Anti-Helden waren und das Gameplay durch eine ordentliche Portion teils schwarzen und teils plumpen Humors die extra Würze erhielt. Eine solche Hommage kann natürlich voll nach hinten losgehen, wenn es entweder nur eine Kopie damaliger Titel ist oder wenn der Versuch etwas Neues in ein altes Gewand zu pressen einfach die Essenz von damals nicht einfängt. Zum Glück sind bei Ion Fury absolute Experten, ja sogar die Urväter des Genres beteiligt. Veröffentlicht wird das Spiel nämlich von 3dRealms, die Anfang der 90er mit Titeln wie Duke Nukem oder Wolfenstein 3D den Durchbruch der Egoshooter zusammen mit id Software (Doom, Quake) einleiteten. Ion Fury wurde sogar mit einer modifizierten Engine entwickelt, die damals auch bei Duke Nukem 3D zum Einsatz kam. Generell ist Duke Nukem ganz offensichtlich das Vorbild von Ion Fury gewesen. Die Heldin Shelly “Bombshell” Harrison könnte glatt Dukes Schwester sein, ist sie doch genauso wortgewandt, politisch unkorrekt und durchsetzungsstark wie Mr. Nukem. Aber auch das Gameplay weist klare Parallelen auf, worauf ich in den nächsten Abschnitten genauer eingehen möchte.
Die Geschichte….ähm, welche Geschichte überhaupt?
Schon die Vorbilder in den 90er Jahren brauchten keine ausgearbeitete Geschichte, um den Spieler zu fesseln. Die Welt in den Spielen ist einfach gestrickt. Es gibt einen Bösen mit seinen Schergen und einen Helden, der quasi im Alleingang die Welt rettet. Die Feinde sind dabei nichts weiter als mal mehr mal weniger gefährliches Kanonenfutter, das man am besten in möglichst viele Stückchen zerschießt. In Ion Fury versucht ein Sektenführer namens Dr. Jadus Heskel die futuristische Cyberpunk Stadt Neo D.C. mit seinen kybernetisch veränderten Anhängern zu unterjochen und eine Schreckensherrschaft aufzubauen. Frau „Bombshell“ hat da allerdings strikt etwas dagegen.
Das Gameplay
Oldschool durch und durch, so würde ich Ion Fury beschreiben. Und wer Spiele wie Duke Nukem 3D kennt, der weiß genau, was ihn erwartet. Für alle anderen versuche ich das mal genauer auszuführen. Der wesentlichste Unterschied zu vielen modernen Egoshootern, und nehmen wir da mal die Call of Duty Reihe als prominentestes Beispiel, ist, dass ihr nicht von einem gescripteten Event zum nächsten gehetzt werdet, sondern selbst entscheidet, in welchem Tempo ihr wo hingeht. Im Prinzip erkundet ihr ein größeres Areal, in dem es nicht selten mehrere zugängliche Bereiche oder Wege gibt, bei denen ihr als Spieler selbst entscheidet, wohin ihr als erstes geht. Aber ein Open World Spiel, so wie ihr es aus modernen Games kennt, ist Ion Fury auch nicht. Das Spiel führt euch durch die Areale. Denn meistens suggerieren die Level nur eine gewisse Freiheit, in Wahrheit sind aber viele Wege erstmal verschlossen. Um diese zu öffnen, müsst ihr meistens ganz klassisch die passende Schlüsselkarte für die jeweilige Tür finden. Das Ziel eines Levels ist immer den Ausgang zum nächsten Areal zu finden. Um dort hinzukommen müssen vor allem Schlüsselkarten gefunden, Schalter aktiviert und eine Menge Feinde pulverisiert werden.
Apropos Feinde pulverisieren: Shelly hat dazu das nötige Equipment bzw. findet es in den Levels. So ziemlich alle Standardwaffen sind dabei, von der Magnum bis zur Minigun, von der Armbrust bis zur Shotgun. Fast alle Waffen haben sogar eine nützliche Zweitfunktion. Mit der Magnum könnt ihr beispielsweise Gegner markieren und wenn ihr dann abfeuert, werden diese automatisch anvisiert und getroffen. Die Shotgun wiederum verwandelt sich via Knopfdruck zum durchschlagskräftigen Granatenwerfer. Die Waffen, die ihr gefunden habt, führt ihr von Level zu Level mit euch. Sie nutzen euch aber nur etwas, solange ihr genügend Munition habt. Für jede Waffe gibt es eigene Munition, die ihr in den Levels findet.
Anders als in vielen moderneren Egoshootern regeneriert sich eure Lebensenergie nicht. Seid ihr getroffen, wird entsprechend Energie abgezogen. Um euch zu heilen, braucht ihr Medi-Packs. Von denen gibt es welche, die ihr sofort verwendet, aber auch noch welche, die ihr aufspart und auf Knopfdruck nutzt. Neben eurer Lebensenergie könnt ihr euren Schutz durch schusssichere Westen mit unterschiedlichen Rüstungswerten verbessern. Werdet ihr getroffen, zählt der Rüstungswert runter. Werdet ihr dann getroffen, verliert ihr Lebensenergie. Es gibt zwar an sich regelmäßig Medi-Packs und Rüstungsteile zu finden, aber dennoch werdet ihr selbst auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad immer wieder mal sterben. Die Gegner sind zwar im Kern strunzdumm, feuern aber sofort los, sobald sie euch wahrgenommen haben. Das kann bei den oft verwinkelten und uneinsichtigen Bereichen schnell und überraschend zu Shellys Tod führen. Und gerade bei den Bosskämpfen müsst ihr euch erstmal die richtige Strategie zurechtlegen, um diese auch zu meistern.
Die Steuerung geht übrigens flüssig und präzise von der Hand. Da es sich um einen Oldschool-Shooter handelt, habe ich das Spiel mit dem Classic Controller samt Dual-Analog-Stick Steuerung gespielt. Ihr könnt wahlweise aber auch mit dem Gyroskop zielen. Auch diese Variante funktioniert und ist sogar konfigurierbar, um sie eurer Spielweise etwas anzupassen.
Objektiv betrachtet sind diese Egoshooter der alten Schule ziemlich stumpfsinnig. Dennoch entfalten sie subjektiv betrachtet für bestimmte Personen einen ganz besonderen Anreiz, der durch den speziellen Humor, die vielen netten Details und Anspielungen sowie massig versteckten Goodies angefeuert wird.
Kommen wir zuerst zum Thema Humor. Wie eingangs bereits erwähnt hat Shelly immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Werden Gegner mit Waffengewalt in ihre Einzelteile zerlegt kommentiert sie das schon mal trocken mit „Let’s keep em separated“. Damit beschreibt sie nicht nur humorvoll den Splatter, Fans von Rockmusik der 90er haben vielleicht so wie ich gleich den gleichnamigen Song von The Offspring im Kopf. Jetzt denkt ihr vielleicht, das sei nur Zufall und keine gewollte Anspielung? Dann ein weiteres Beispiel. Der erste Bosskampf startet mit den Worten von Dr. Heskel „Despite all your rage, you’re still just a rat in a cage“, sowohl im Wortlaut als auch in der Art wie er es betont ganz klar der Verweis auf den Smashing Pumpkins Song „Bullet With Butterfly Wings“. Aber zurück zu dem schwarzen Humor. Je größer die Feuerkraft von Shellys Waffen, in desto mehr Einzelteile werden die Gegner zerlegt. Bei einer Granate fliegen nur so die roten Stückchen durch die Gegend, die Shelly auch noch gekonnt mit ihrem Fuß nach vorne kickt, wenn ihr drüber lauft. Wird ein Feind in einer Tür erledigt, ziehen sich „Squish-Fäden“ von oben nach unten, jedes Mal, wenn die Tür sich öffnet. Es ist also dieser übertriebene Splatter, der mich immer wieder zum Schmunzeln bringt. Wer über die Szene mit dem Schwarzen Ritter in Monty Pythons Meisterwerk „Die Ritter der Kokosnuss“ lachen kann, der ist hier richtig.
Darüber hinaus gibt es total viel zu entdecken. Überall finden sich Poster, Graffitis, Werbeplakate mit Anspielungen an andere Spiele, die 90er Jahre bis hin zum Essverhalten der Amerikaner („Ein Burger für echte Amerikaner“ mit 10k Kalorien). Viel besser versteckt sind die ganzen Geheimräume, in den ihr Waffen, Munition und Medi-Packs findet. Um die Geheimräume zu erreichen, müsst ihr nicht selten Wände aufsprengen, versteckte Türen öffnen oder euch in Ecken vorwagen, in denen entweder ein Abgrund oder mit Glück ein Geheimversteck auf euch wartet. Ich hatte große Probleme auch nur einen Bruchteil der Geheimnisse zu finden. Wenn man da richtig Spaß dran hat, verlängert sich die eh schon recht üppige Spielzeit von deutlich über 10 Stunden gleich um mehrere extra Stunden. Fairerweise werdet ihr bevor ihr einen Levelabschnitt verlasst darauf hingewiesen, wie viele versteckte Räume ihr noch nicht entdeckt habt, so dass ihr die Chance habt zurückzugehen und weiter zu suchen.
Ein paar Elemente moderner Spiele wurden allerdings dann doch in Ion Fury integriert. So speichert das Spiel automatisch an bestimmten Punkten. Darüber hinaus dürft ihr aber jederzeit auch selbst speichern und zur Orientierung gibt es noch eine einblendbare Levelkarte.
Die audiovisuelle Umsetzung
Wie bereits berichtet, nutzten die Entwickler für Ion Fury eine angepasste Engine, die damals auch bei Duke Nukem 3D zum Einsatz kam. Dementsprechend sieht die Grafik auch so aus wie Mitte der 90er. Alles ist etwas kantig und klobig und Texturen sind platt und wenig plastisch. Eine Besonderheit damals wie auch heute ist, dass viele Levelobjekte sowie die Gegner in Form von 2D-Sprites dargestellt werden, die sich mit euch drehen je nachdem wie ihr steht. Das bedeutet aber auch, dass die Gegner nur wenige Animationsphasen haben, was das oldschool, leicht trashige Gesamtbild unterstützt. Mir gefällt die visuelle Darstellung. Ich kann aber auch verstehen, dass jüngere Spieler ohne Nostalgiebrille in den ersten Minuten bereits Angst bekommen an Augenkrebs zu erkranken.
Am Sound und der Musik gibt es nicht viel zu meckern. Die Sprachausgabe ist solide, die Waffengeräusche sind knackig und die Musik dudelt im Retro-Elektro-Stil unterhaltsam im Hintergrund. Alles in allem eine runde Sache.
Meckerecke
Wie eben beschrieben ist das Spiel technisch solide. Dennoch gibt es hier und da ein paar marginale, aber dennoch sichtbare Grafikfehler und ganz vereinzelt, zumeist wenn ihr nahe großer Explosionen steht, auch spürbare Framerate-Einbrüche. Auch das ist nicht sonderlich störend, aber dennoch ärgerlich da unnötig. Denn die Grafik von Ion Fury sollte nun wirklich nicht die Switch an ihre Grenzen bringen. Leider ist mir das Spiel bei einem Bosskampf auch mal abgestürzt.
Abgesehen davon hätte Ion Fury, um in noch höhere Wertungsregionen vorzudringen, einfach mehr von allem bieten müssen, außer vom Umfang, der ist nämlich vollkommen ausreichend. Mit mehr von allem meine ich mehr Abwechslung in Sachen Gameplay, etwas mehr Geschichte wäre auch nicht schlecht gewesen und etwas mehr Präsenz von Shelly als Protagonistin ebenfalls. Wenn sie schon humorseitig wie Duke Nukem unterwegs ist, hätte sie ruhig weniger wortkarg sein und wie ihr Seelenverwandter einfach noch mehr Situationen mit einem lockeren Spruch kommentieren dürfen. Außerdem finde ich es schade, dass es keinen Multiplayer-Modus gibt. Sehr gerne hätte ich einen lokalen Vierspieler-Split-Modus gehabt.
Gunnar meint:
Wer schon etwas älter ist und in den 90er Jahren Egoshooter wie Duke Nukem 3D oder das Pendant Duke Nukem 64 auf dem Nintendo 64 mochte, der wird auch mit Ion Fury seine wahre Freude haben. Im Prinzip ist das Spiel ein Klon von Duke Nukem 3D, ohne aber wie ein Abklatsch ohne Daseinsberechtigung zu wirken. Das klassische, etwas stumpfsinnige Gameplay ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Ich persönlich empfinde es allerdings wohltuend erfrischend mal wieder nicht durch Level gehetzt zu werden, sondern in meinem Tempo die großen, verwinkelten Areale zu erkunden, Geheimräume zu suchen und Gegner zu zerlegen. Ion Fury überzeugt in dem, was es sein will. Nicht mehr und nicht weniger.
Grafik
Sound
Steuerung
Spielspaß
Release
Developer
Publisher
USK
14.05.2020
Voidpoint
3dRealms
16+
Singleplayer
Multiplayer
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