Jede Fanbase hat diesen einen Release, der sie komplett auseinanderreißt. Bei Mass Effect war es Teil 3, bei Star Wars ist es… jeder Star Wars Film seit 1999 und bei Pokémon ist es die 8. Generation. Nicht, dass vorher alles wunderbar war, das ist es nie. Aber die Ankündigung, dass in diesem Teil nicht alle Taschenmonster enthalten sein werden, ob nun fangbar oder anderweitig transferierbar, hat eine bis dahin recht harmonische Fangemeinde aufgerüttelt wie ein Erdbeben. Die einen haben es begrüßt, andere fanden es nicht so schlimm und für wieder andere sind Game Freak jetzt inkompetente Lügner, die es doch einfach sein lassen sollen, wenn sie keinen Bock mehr haben.
In diesem Testbericht möchte ich einen möglichst unverklärten Blick auf das Debüt der 8. Generation werfen und es möglichst ohne mich in Spekulationen zu verlieren einfach als das betrachten, was es ist.
Reif für die Insel
Pokémon Schwert und Schild bringt den Spieler in die Galar Region, eine große Insel, in der der Wettbewerb der Pokémon Trainer nicht nur ein elementarer Bestandteil der dortigen Kultur ist (wie überall) sondern auch ein lukratives, hochvermarktetes Event. Einmal im Jahr werden spezielle Challenger ausgewählt, die mit ihren Pokémon durchs Land ziehen, die verschiedenen Arenen heraus fordern und am Ende in einem großen Turnier um den Titel des Champs kämpfen.
Was Galar dabei von anderen Regionen unterscheidet ist jedoch das Gigamax Phänomen, mit dem sich eine spezielle Energie konzentrieren lässt, die Pokémon für eine bestimmte Zeit riesig werden lässt, und möglicherweise sogar verändern kann. In grauer Vorzeit, soll dies sogar eine große Krise ausgelöst haben…
Die Story konzentriert sich dieses Mal Primär auf die Arena Challenge und das Streben danach, der Champ zu werden. Das ist an sich auch kein schlechter Ansatz, immerhin ist auch in der echten Welt Sport mittlerweile mehr geworden als reiner Wettbewerb. Gerade der Fußball, zu dem Pokémon hier einen deutlichen, visuellen Vergleich zieht, ist durchwachsen von kultureller Identität, Wirtschaftsinteressen, Korruption und Betrug.
Leider interessiert sich Pokémon für keines dieser Themen. Obwohl sich in den Charakterdesigns so viele Verweise zu ihnen finden lassen, (der stetig lächelnde Vorsitzende mit Wohlstandsbäuchlein, der von einer dubiosen Sekretärin vertreten wird, der Champ, dessen Umhang mit Werbung zugekleistert ist, die etwas zu begeisterten Fans, die als Unruhestifter verschrien sind) dass es bereits vor Release genug Theorien zu ihnen gab, ist die Arena Challenge von Anfang bis Ende eine saubere Sache und nichts zwielichtiges spielt sich hinter den Vorhängen ab. So watschelt der Spieler in rasanter Geschwindigkeit von einer Arena zur nächsten und wird nur hin und wieder daran erinnert, dass es noch irgendeinen anderen Kram mit antiken Helden und legendären Pokémon gibt, der sich erst ganz am Ende viel zu schnell auflöst. Von den drei Rivalen steht nur der uninteressanteste, Hop, wirklich im Fokus und Team Yell ist die meiste Zeit einfach nur da und hindert den Spieler ein wenig daran, vorwärts zu kommen, mehr nicht.
Das Problem ist nicht, dass die Struktur anders ist als Gewohnt, Sonne und Mond hat dies zuvor sehr erfolgreich hin bekommen mit einer wunderbar ausgeleuchteten Spielwelt, interessanten Charakteren und einer wendungsreichen (wenn auch vorhersehbaren) Geschichte.
Das Problem ist, dass die Geschichte von Schwert und Schild nur andeutungsweise existiert. Das Potenzial ist da, doch wird nichts daraus gemacht. Tatsächlich bekommt man irgendwann das Gefühl, dass das Spiel selbst den Spieler so schnell wie möglich durch die Story boxen will. Immer wieder bekommt den Satz zu hören “Wir Erwachsenen kümmern uns darum, konzentriert ihr euch auf die Challenge.” Ich meine, es ist nett mal kompetente Erwachsene in Pokémon zu sehen, aber wäre Polizei in Rot und Blau so fähig gewesen, hätte das halbe Spiel nicht stattgefunden. Stattdessen wird man immer wieder ermutigt, die Spielzeit selbst in der Naturzone zu strecken, wo aber auch später der größte Teil des Postgames stattfindet.
Dabei ist die Galar Region keineswegs langweilig. Die Städte sind schön designed, die Arenen stellen den Spieler vor abwechslungsreiche Aufgaben (auch wenn der Kampf gegen den Arenaleiter selten eine Herausforderung darstellt), die Gegenden sind vielseitig, von wunderschönen Sommerlandschaften, durch dunkle Minen bis zu verschneiten Bergspitzen, und die Routen, die alles verbinden, sind offener und komplexer als jemals zuvor. Man ist nur sehr schnell durch mit dem Ganzen, ohne dass es voll zur Geltung kommt. Gigamaxing zum Beispiel ist eine sehr interessante Mechanik, die aber von den Arenaleitern so vorhersehbar eingesetzt wird, dass man nie lange darüber nachdenken muss.
Vier gegen Goliath
Abseits der Story gibt es natürlich wieder viel zu tun: Man kann den Pokédex vervollständigen, den Kampfturm herausfordern und online gegen andere Spieler kämpfen. Allerdings fehlt auch hier wieder die Optionsvielfalt: Im Kampfturm kann man nur alleine gegen NPCs kämpfen und der Online Kampf ist in Frei und Gelistet unterteilt, was bedeutet, dass man in einem Modus von Leuten mit overpowerten Legendären Pokémon geplättet wird, und im anderen von Leuten mit overpowerten gezüchteten. Eigene Regeln lassen sich nicht einstellen und so heißt es friss oder stirb. Entweder du tauchst voll ins Meta ein, oder du lässt es.
Das große neue Feature von Schwert und Schild sind Dynaraids. In diesen kann man mit bis zu vier anderen Spielern online ein riesiges Pokémon heraus fordern. Besiegt man es, bekommt man eine Chance es zu fangen. Und dieser Modus ist wirklich gelungen! Nicht nur sind viele dieser Raids eine richtige Herausforderung, auch Seite an Seite mit drei anderen Spielern zu stehen, ihre Pokémon und Strategien mitzuerleben, wird nie langweilig. Dazu wird Game Freak wohl über die Zeit durch diese Raids einige Events veranstalten. Schade nur, dass dies für Gelegenheitsspieler wohl die einzige Langzeitmotivation bleiben wird.
Grafik
Im Vorfeld ist viel zur Grafik von Schwert und Schild gesagt worden. Vor allem nachdem Game Freak recht ungeschickt angekündigte, dass für den erhöhten Entwicklungsaufwand Pokémon gestrichen werden mussten, wurde jedes Blatt umgedreht und jede Textur auf die Goldwaage gelegt.
Ja, Schwert und Schild sind nicht das visuelle Flaggschiff der Switch. Die Welt ist immer noch wie ein Diorama aufgebaut, von dem die Kamera strikt nur zeigt, was sie zeigen will. Umgebungen wirken blockig oder flach, Texturen sind nicht so scharf, wie sie unter diesen Umständen sein könnten und in der Naturzone, ein großes, weites Gebiet, indem die Kamera endlich frei ist, sieht es nochmal etwas schlechter aus. Dazu gibt es viele Pop ins von Charakteren. Dennoch kann ich sagen, dass das Spiel dank seines starken Stils gut aussieht. Charakterdesigns sind verdammt gut gelungen und die Pokémon haben einige der besten Designs, die es je gab.
Dazu kommt ein Soundtrack, der sich nun deutlicher an der dritten Generation zu orientieren scheint, die meiste Zeit recht unscheinbar daherkommt, aber dafür vereinzelt ein paar wirklich großartige Stücke bietet.
Reden wir vom Kampf: Dieser ist stellenweise steif und langatmig, aber das hat weniger etwas mit dem Fehlen von Bauteilen zu tun, als mehr der allgemeinen Inszenierung: Die Pokémon sehen alle immer noch super aus, ihre Bewegungen sind ausgezeichnet und flüssig animiert. Und wenn wir hier von über 400 spielbaren Charakteren mit über 1000 Attacken sprechen, kann man sie eigentlich nicht besser animieren als so. Das Problem liegt eher in der Kamera, die jeden Kampf, sei er nun gegen ein kleines, wildes Vögelchen auf Route 1, oder gegen das stärkste Pokémon des Champions, immer auf die gleiche Art und Weise einfängt.
Und die Effekte, die bei jeder Statusveränderung abspielen, ob das jetzt nun fünf Mal hintereinander geschieht oder nicht, verlangsamen diese Inszenierung nochmal mehr. Manchmal startet ein Kampf, und eine ganze Weile passiert gar nichts, weil sich so viele Fähigkeiten nacheinander aktivieren. Game Freak hat ihre Kämpfe immer schnell inszeniert, um darüber hinweg zu täuschen, dass sich da nur statischen Sprites minimale Gameboy Effekte um die Ohren hauen. Aber so ist es nun mal nicht mehr. Pokémon Stadium sieht für viele nicht besser aus, weil es etwa bessere Animationen hätte, sondern weil die Kamera und das Kampftempo dem methodischeren, größeren Kampf einer Arenasituation angepasst sind. Was ich damit sagen will ist: Für die Zukunft würden verschiedene Kamerafahrten in verschiedenen Situationen dem Spiel guttun.
Entwicklung
Pokémon muss sich im Allgemeinen viel gefallen lassen. Die Reihe würde sich nicht genug weiter entwickeln, sie wäre seit ihren Anfängen stagnant und biete nie viel Neues. Ich finde diesen Vorwurf nach wie vor eher ungerechtfertigt. Ja, selbst mein Review klingt gerade deutlich negativer, als ich es eigentlich formulieren wollte.
Wir haben hier eine Franchise, die bereits in seinen Anfängen ein so perfektes Fundament hat, dass es da nur noch wenig zum Weiterentwickeln gibt. Das Kampfsystem wird öfter kritisiert, aber das liegt daran, dass die Story des Spiels es nie in seinem vollen Potenzial nutzt und der Kompetitive Kampf zwischen zwei Spielern praktisch ein komplett anderes Spiel darstellt. Die Struktur ist immer dieselbe, aber das ist sie bei RPGs dieser Art eigentlich immer, andere verstecken es nur besser.
Man kann nur das Argument anführen, dass sich Pokémon in die falsche Richtung entwickelt: Die Stärke der Reihe sind die Freiheit des Spielers, seine Kampfgefährten selbst zu wählen. Daraus entsteht nicht nur ein großer Wiederspielwert, sondern auch ein Gefühl der persönlichen Entfaltung: Ich kämpfe nicht mit einer Party, die mir das Spiel gegeben hat, sondern mit einer, die ich selbst gefangen und trainiert habe. Anstatt dies auszubauen, fährt Game Freak aber genau diese Aspekte zurück, um den Spieler mehr durch ein Abenteuer zu leiten, das dann aber hinter den Erwartungen einer so geführten Erfahrung zurückbleibt.
Schwert und Schild bietet für Pokémon Fans viel: Eine große Welt, coole neue Pokémon, eine bessere Charakter Gestaltung und einige Möglichkeiten, mit anderen Spielern zu interagieren. Aber es ist immer noch nicht alles, was es sein kann. Und nach 20 Jahren könnte man genau das mal erwarten. Und, nebenbei bemerkt: Ja, wie anfangs besprochen enthält Pokémon Schwert und Schild nur etwas über 400 der mittlerweile fast 1000 Pokémon. Davon kann man halten was man will, aber während des Spielens hat man nie das Gefühl, keine adäquate Artenvielfalt zu beobachten. 400 Pokémon, auch wenn es nur die Hälfte ist, ist immer noch eine Menge.
Lukas meint:
Man kann mutmaßen so viel man will, aber klar ist eines: Game Freak war dem Projekt, Pokémon auf eine HD-Konsole zu bringen, nicht gewachsen. Ob dies nun mit einem turbulenten Entwicklungszyklus zusammenhing oder einem zu kleinen Team kann niemand wissen außer das Studio selbst. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Reihe beim nächsten Mal den Release bekommt, den es verdient. Pokémon Schwert und Schild sind bei weitem keine schlechten Spiele, aber sie sollten so viel mehr sein.
Grafik
Sound
Steuerung
Spielspaß
Release
Developer
Publisher
USK
15.11.2019
Game Freak
Nintendo
6
Singleplayer
Multiplayer
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