
Als sich die Welt Ende der Neunziger auf ein neues Jahrtausend vorbereitete, das mehr Veränderungen bringen sollte, als man in dieser naiv anmutenden Welt erhofft hatte, drehte sie sich um einen einzigen Popkulturtitanen: Pokémon. Dieses unscheinbare kleine, aber für seine Plattform äußerst ambitionierte, GameBoy Spiel, hatte den größten Hype gestartet, den man sich nur vorstellen konnte. Sammelkarten, Kinofilme und eine Fernsehserie dominierten den Zeitgeist und übten einen geradezu hypnotischen Einfluss auf die junge Zielgruppe von Grundschulkindern aus.
Was die damalige Ära dieser Franchise ausmachte war Vielfältigkeit. Die Welt der Pokémon war groß und mannigfaltig und ein Überbleibsel aus dieser Zeit verkörperte es mehr als jedes andere: Pokémon Snap.
Dieser kurze und simple Railshooter, der aber einiges an Kreativität erlaubte und viele Geheimnisse bereithielt, erlaubte einen Blick auf die wilde Seite der Pokémon Welt. Fernab von Städten, Arenen und Trainern, lebten hier wirklich wilde Pokémon frei in unangetasteten Landstrichen und folgten nur ihren Instinkten. Mittendrin der Spieler, ein Fotograf, der all dies festhalten sollte.
Heute stecken wir in einer Pokémon Renaissance. Wirklich am Boden war die Franchise nie, doch der Sommer 2016 hat mit Pokémon Go alles verändert und wäre unsere Popkulturelle Landschaft nicht so übersättigt mit Netflix, Fortnite und dem Marvel Cinematic Universe, würde vermutlich auch jetzt wieder der Pokérap prominent im Fernsehen laufen. Und er würde zwei Stunden lang sein.
Passend also, dass auch mit dem wiedererstarken der Franchise, dieser kleine Railshooter wiederkehrt. Mit New Pokémon Snap versucht Bandai Namco einen ganz speziellen Moment der Neunziger wieder einzufangen. Ist es ihnen gelungen?
Willkommen in Lentil
In New Pokémon Snap verschlägt es den Spieler auf die Lentil Region, eine von Menschen kaum berührte Inselgruppe, in der Pokémon noch frei in der Natur leben. Anstelle eines Rucksacks voller Pokébälle ist man allerdings hier nur mit einer Kamera ausgerüstet. Denn man ist kein Pokémon Trainer, man ist Fotograf!
Im Auftrag von Professor Mirror bereist man also verschiedene Orte auf der Lentil Region, um hier das Pokémon in seinem natürlichen Lebensraum einzufangen und den Geheimnissen dieses Ortes auf die Schliche zu kommen.
Was jedem Spieler früh auffallen wird, ist das langsame Pacing des Spiels: Immer wieder bleibt die Progression des Spielers stehen und man wird gebeten, einfach die altbekannten Strecken immer und immer wieder zu fahren, um neue Kleinigkeiten zu finden.
Für manche mag das wie künstliche Spielzeitstreckung wirken und, nunja, das ist es auch. Allerdings hat dies einen guten Grund: Pokémon Snap ist kein Spiel, das einfach so mal eben durchgespielt und ins Regal gestellt werden will. Es ist eine entspannende kleine Safari durch eine detaillierte Welt, die immer mal wieder angetreten werden soll. Der Spieler soll mit altbekanntem experimentieren, kleinste Details bemerken und gut behütete Geheimnisse herausfinden. Zu Beginn werden also so ziemlich alle Spieler exakt die gleichen Fotos schießen, mit der Zeit allerdings immer mehr Geheimnisse herausfinden und ihrer eigenen Kreativität freien Lauf lassen. Fokus in Experimentation sind hier die zentralen Worte: Versucht man zu Beginn auf einer Route möglichst viele Pokémon auf einmal abzulichten, fängt man mit der Zeit immer mehr an, sich auf spezielle Ereignisse zu konzentrieren und diese zu perfektionieren.
Aus genau diesem Grund wird man nicht sofort mit Optionen und Leveln zugeschüttet, sondern soll erstmal das erkunden, was man auf der Karte hat.
Unter diesem Gesichtspunkt kann man New Pokémon Snap eigentlich nur eines vorwerfen: Der Turbo lässt sich doch eine Menge Zeit, bis man ihn freischaltet, und so wird die Erkundung eines speziellen Gebietes mit der Zeit doch zu einem recht langwierigen Prozess.
Die Story hält sich dabei stark zurück, wie es zu erwarten war. Die Geheimnisse der Lentil Region sind schon interessant, und es ist immer spannend mehr zu entdecken, wer allerdings eine tiefgreifende Story mit komplexen Charakteren und dramatischen Wendungen erwartet hat… Nun, der sollte sich mal untersuchen lassen.
Alles einsteigen!
Aber was ist Pokémon Snap überhaupt?
Wie bereits am Anfang erwähnt, handelt es sich hier um einen Railshooter mit Adventure Elementen. In seinem kleinen Wagen fährt man also eine zuvor festgelegte Strecke ab, hält so gut wie nie an und knippst, was einem vor die Linse springt. Die Kurse verhalten sich dabei ähnlich wie eine Attraktion in einem Themenpark, immer wenn der Spieler irgendwo auftaucht, spielt sich ein vorgescriptetes Ereignis ab. Im Gegensatz zum Themenpark allerdings, kann der Spieler hier mit verschiedenen Items auf seine Umwelt Einfluss nehmen und Ereignisse manipulieren. So kann man Pokémon Äpfel vor die Füße oder gegen den Kopf werfen, ein kurzes Musikstück spielen oder mit dem neuen Luminaball zum Leuchten bringen. Letzteres zeigt sich übrigens deutlich vielseitiger als man anfangs erwarten würde.
Als erstes bekommt man jedoch den Scanner, der nicht nur Besonderheiten in der Welt hervorhebt, sondern auch Pokémon auf einen aufmerksam macht. Alternative Routen lassen sich mit ihm ebenfalls finden.
Hat man also eine Strecke befahren, sucht man für Professor Mirror pro Pokémon exakt ein Foto aus, das er daraufhin bewertet und sollte es das Beste Foto seiner Klasse sein, abheftet. Aber, keine Sorge, im Nachhinein lassen sich alle Fotos auch bearbeiten und in einer eigenen Mappe speichern. Von hier aus kann man auch Fotos ins Internet hochladen und von anderen Spielern bewerten lassen.
Professor Mirror ist als Forscher natürlich weniger an der Esthätik eines Bildes interessiert, sondern mehr an seinem wissenschaftlichen Wert. Dennoch ist seine Expertise… fragwürdig. Oft bevorzugt er Bilder, die möglichst nah dran sind, selbst wenn man so das Subjekt in seiner Gänze nicht sieht, Posen werden immer bevorzugt, selbst wenn man sie kaum sehen kann und für Beleuchtung ist er völlig blind. Vielleicht liegt es daran, dass das gesamte System etwas komplexer ist als zuvor, ich kann mich allerdings daran erinnern, Professor Eich damals auf seiner Fotoreise mehr zugestimmt zu haben.
Dem entgegen wirkt hier das Sternesystem: Je nachdem, in welcher Situation man ein Pokémon erwischt, wird ein Foto mit einer Bewertung von bis zu vier Sternen bewertet. Ein recht neutrales Foto gibt also nur ein Stern, während eine seltene und coole Pose vier Sterne erhält. Diese Bilder haben unterschiedliche Slots, weshalb man später in seiner Mappe verschiedene Bilder zu einem einzigen Pokémon hat. Das ist auf jeden Fall sehr cool, ich frage mich aber, warum man nicht nach Abschluss einer Tour auch ein Bild pro Sternenklasse abgeben kann. So landen viele schöne Bilder in der Tonne, weil man irgendeine seltene Pose getriggert, aber nicht so gut fotografiert hat.
Ist die Bewertung abgeschlossen, erhält man darüber hinaus Punkte und levelt damit jede Strecke hoch, mit jedem neuen Level verändert sie sich ein wenig und wird lebendiger. Man kann allerdings auch die früheren Level wieder besuchen, wenn man das möchte. Auch hier bereitet New Pokémon Snap viel auf Langzeitmotivation vor: Die große Dichte an Pokémon und Ereignissen ist Anfangs ziemlich überwältigend, aber später wird man froh über all die Abwechslung und Komplexität sein.
Schönheit der Fotografie
Wenn es zum Gameplay eines Spiels gehört, genau auf Screenshots zu starren und den besten herauszusuchen, hat Grafik natürlich einen besonderen Wert. Und wenn es um das Thema Grafik und Pokémon geht, hat man zur Zeit eigentlich nicht so viel Glück.
Allerdings sind die Entwickler von Bandai Namco hier reine Zauberer! Schon mit Pokémon Tekken und Super Smash Bros. haben sie bewiesen, dass auch eine Hardware mit eher weniger Power schöne Spiele haben kann und mit New Pokémon Snap setzen sie diesen Trend weiter fort.
Die Umgebungen sind detailliert und schön, die Beleuchtung ist vielseitig und stark und manchmal findet man sich dabei wieder, wie man einfach nur eine Felsformation abfotografiert, obwohl dort keine Pokémon sitzen. Vor allem der Himmel und die Hintergründe wirken extrem lebensecht.
Doch die eigentlichen Fotosubjekte sind die Pokémon und es begeistert zu sehen, wie lebendig sie wirken, selbst, wenn sie gerade nichts tun. Ob sie nun eine starke Pose vorführen, konzentriert einen Busch beobachten oder einfach nur leer in die Gegend starren, man hat immer das Gefühl, dass sie irgendetwas denken oder fühlen und dies findet sich auf jedem Foto wieder.
Allein der Soundtrack hält sich stark zurück. Womit ich nicht sagen möchte, dass er schlecht ist, nur eben sehr subtil. Da hatte das Original schon einige Ohrwürmer mehr zu bieten, die die Atmosphäre jeder Strecke gestärkt und nicht nur unterstrichen haben.
Lukas meint:
Ich muss zugeben, dass ich überrascht bin. Wenn Nintendo nach so langer Zeit eine Fortsetzung veröffentlicht, ist dies meistens ein kleiner Titel auf Sparflamme, der dem Original nicht wirklich das Wasser reichen kann. Hier ist dies allerdings anders. New Pokémon Snap ist ein mehr als würdiger Nachfolger und baut auf jedem Aspekt des Vorgängers auf. Fans des alten Teils werden begeistert sein und neue Spieler können nun endlich erfahren, warum es so viel Nostalgie für ein Spiel gab, in dem man nur Bilder gemacht hat.
Grafik
Sound
Steuerung
Spielspaß
Release
Developer
Publisher
USK
30.04.2021
Bandai Namco
Nintendo
USK 0
Singleplayer
Multiplayer
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